Er ist ein Universaltalent. Aber in erster Linie ist er Koch - und das mit Leib und Seele. Doch er ist auch ein erfolgreicher Buchautor, Pädagoge und Lehrmeister, Food Designer und Produktentwickler, Kochkursleiter und Event Creator. Der Name Heinrich Gasteiger ist aus der kulinarischen Szene in Südtirol nicht weg zu denken.
Vor allem mit seinen Publikationen in Zusammenarbeit mit den Fachkollegen Gerhard Wieser und Helmut Bachmann hat er maßgeblichen Anteil am frischen Wind, der durch Südtirols Küchen weht. „So kocht Südtirol“, der Bestseller, inzwischen schon mehrfach aufgelegt und in weitere Sprachen übersetzt, ist reihenweise in den Haushalten gelandet und hat einen regelrechten Hype ausgelöst. Mit dem Ergebnis, dass mit gelingenden Rezepturen das Interesse an traditioneller Gastronomie und das kulinarische Bewusstsein geweckt wurden. Auf der Woge des schriftstellerischen Erfolgs hat darauf Gasteiger mit seinem Team an die fünfzig weitere Bücher im Athesia Tappeiner Verlag veröffentlicht. Bleibende Esskultur, Tradition und Moderne, ein komplettes Portfolio für den interessierten Leser.

VON NICHTS KOMMT NICHTS
Natürlich hat Heinrich Gasteiger, der heute in Lana bei Meran lebt, seine Fähigkeiten nicht in die Wiege gelegt bekommen. Mit Leidenschaft für die Esskultur und einer gehörigen Portion Wissbegierde hat er seine beruflichen Ausbildungen abgeschlossen, mit Kernkompetenz in der Kochkunst und der Patisserie.
Wohl wissend, dass die Südtiroler Küche nicht der Mittelpunkt der kulinarischen Landschaft sein kann, zog er früh weg, um auch andere gastronomische Traditionen und Techniken kennen zu lernen. So zu sagen auf den Spuren von Heinz Winkler, dem wohl bekanntesten Koch Südtirols, der in Deutschland seinen Wirkungskreis fand, sich dort drei Michelinsterne erkocht hat und im Jahre 1979 vom Guide Micheln zum "Koch des Jahres" gekürt wurde.
Der Weg führte Heinrich Gasteiger zu renommierten Hotels und Restaurants in Deutschland, Österreich und der Schweiz, darunter ins Restaurant Chesery in Gstaad, ins Hilton Park Hotel in München und ins Restaurant Santabbondio in Lugano. Seefeld und Wien waren weitere Stationen, bei denen er mit Enthusiasmus seine Kenntnisse in der internationalen Küche perfektionierte.

NACH DEN LERNJAHREN DIE LEHRJAHRE
Er ist ein sehr kommunikativer Mensch und wohl deshalb hat Heinrich Gasteiger im Jahre 1985 beschlossen, von der Hotelküche auf den Lehrstuhl zu wechseln. Es war ihm ein ständiges Bedürfnis, sein Wissen nicht allein für sich zu behalten, seine Erfahrungen und Kenntnisse zu teilen. Wo konnte er dies effizienter bewerkstelligen als vor einer Reihe wissbegieriger Schüler, alle das Ziel vor Augen, in Hotellerie und Gastronomie ihren Lebensmittelpunkt zu finden.
So sollte die wichtigste Ausbildungsstätte für die Hotelbranche in Südtirol, die Landeshotelfachschule "Kaiserhof" in Meran, für mehr als dreißig Jahre sein primäres Tätigkeitsfeld sein. Als kompetenter Fachpädagoge war Gasteiger nämlich auch in anderen Bereichen gefragt, so lag es auch an ihm, als Jurymitglied bei nationalen Kochwettbewerben die jeweils besten Leistungen der Kandidaten und Teams zu ermitteln. Gleichzeitig scheute er auch nicht den direkten Vergleich mit anderen Größen seines Fachs und beteiligte sich an Wettbewerben, bei denen seine Kochkunst mehrfach mit Silber- und Goldmedaillen ausgezeichnet wurde.
EIN RASTLOSER VISIONÄR
Eine gehörige Portion Weitblick kann Heinrich Gasteiger nicht abgesprochen werden. Zusammen mit seinem Autorenteam "So kocht Südtirol" hat er sich mit den Publikationen nicht begnügt und eine Reihe von Fertigprodukten entwickelt, die einerseits hilfreich bei der Umsetzung der beschriebenen Rezepte sein können, andererseits auch Südtiroler Traditionen vermitteln sollen. Die Palette reicht von Gewürzmischungen, Bandnudeln, Schüttelbrot und Speck bis hin zu fertigen Fleischgerichten.
Ganz im Trend der Zeit hat Gasteiger seinen "Lemora" Gin entwickelt. Die Puristen unter den Gin-Freunden werden möglicherweise die Dominanz der Wacholderbeere vermissen. Bewusst, denn "Lemora" soll klassische Noten mit Elementen des mediterranen Terroirs vereinen, Argumen mit südländischen Botanicals und Gewürzen. Und Gasteiger wäre nicht Koch mit Leib und Seele, wenn er bei der Kreation dieser eleganten Spirituose nicht auch an eine Verwendung in der Küche gedacht hätte. Zur Veredelung hochwertiger Speisen wie Garnelen und Jakobsmuscheln, oder Tatar vom Lachs oder Rind.

SÜDTIROL, QUO VADIS?
Die Urlaubsdestination Südtirol ist im Moment mehr gefragt denn je, das machen die Zahlen der Touristiker deutlich. Dementsprechend wichtig ist die lokale Gaststättenbranche und mit den Auszeichnungen der aktuellen Michelin Guide für 21 Restaurants weist das Land eine erstaunliche Dichte an gehobener Gastronomie auf. Und in deren Fahrwasser haben sich viele Küchen etablieren können, mit ihren eigenen Konzepten, in Anlehnung an Tradition oder mit Blickrichtung angesagter Food-Trends.
Was aber braucht nun die Gastronomie in Südtirol, um bestehen zu können? Gasteiger hat da ganz genaue Vorstellungen. Die Leute, die in den Küchen arbeiten müssen ihr Handwerk verstehen, Produkte und Lebensmittel kennen, um sie richtig einsetzen und bearbeiten zu können. Ausgebildete und erfahrene Köche garantieren dem Restaurantbetreiber und Serviceteam reibungslose Abläufe ohne Hektik und eine stets gleichbleibende Qualität der Speisen. Eine effiziente Planung ermöglicht ebenso Einsparungen bei der Warenbeschaffung und minimiert Abfälle.
OLD SCHOOL UND TRENDY COOKING
Schon mal vorweg: Beides ist aktuell und hat eine eigene Fangemeinde. Die alte Schule kann mit Tradition aufwarten, bewährten Rezepten und ist oft von regionalen Produkten geprägt. Das moderne Kochen ist dominiert von Experimentierfreudigkeit mit internationalen Zutaten und Aromen. Heinrich Gasteiger meint dazu: "Prinzipiell ist es gut, wenn sich die Chefs mit unterschiedlichen Strömungen identifizieren und eigene Konzepte erstellen. Die Südtiroler Gastronomie hat ja stets davon profitiert, man denke nur an die mediterranen Einflüsse, die heute auch Teil der traditionellen Küche sind. Aber es müssen Abstriche gemacht werden und der adäquate Ort für ein spezielles Angebot vorhanden sein. So zum Beispiel haben Meeresfrüchte auf den Almen nichts verloren, hingegen können internationale und experimentelle Gerichte mit asiatischen Gewürzen und Kräutern durchaus erfolgreich sein, vor allem in größeren Zentren mit jungem Publikum".
Heutzutage kann der Koch auch auf effiziente technische Hilfsmittel zurückgreifen, ausgereifte, intelligente Systeme übernehmen zuverlässig Arbeitswege für die Küchenbrigade. Die maschinelle Aufrüstung hat auch neue Perspektiven am Herd eröffnet, heute werden vermehrt neue Garverfahren und Konservierungsmethoden angewandt. Für Gasteiger zweifelsohne ein wichtiger Fortschritt in der Organisation der Gastronomie, aber auch die Möglichkeit, auf die Struktur und Zusammensetzung der zu verarbeitenden Lebensmittel einzugehen. So hat sich das sanfte Garen mit der Niedrigthemperaturmethode durchgesetzt, vor allem beim Fisch und Komponenten mit fragiler Struktur. Im Gegensatz zu Fleischstücken im großen Schnitt, vorwiegend vom Rind, die durch scharfes Anbraten mit großer Hitze Röstaromen und Textur entwickeln und dann im Ruhestand den gewünschten Garpunkt erreichen.
Vor mehr als zehn Jahren hatte die Molekularküche noch ihren Höhepunkt, Gasteiger sieht sie heute nicht mehr zeitgemäß, da sie zu kostenintensiv ist und viele Arbeitsgänge nötig macht. Aber auch mit der Tenndenz zum Unverfälschten und Natürlichen steht sie nicht.mehr oben in der Gunst des Gastes. Trendig hingegen ist Sous vide als Garmethode, die ausgezeichnete Ergebnisse liefert. Bombiges Geschmackserlebnis, die Aromen der Komponenten, Gewürzen und Kräutern bleiben unverfälscht erhalten, zusätzlich können Gerichte gut vorbereitet und gelagert werden. Einziges Manko sieht Gasteiger in der ökologischen Nachhaltigkeit, durch den erhöhten Einsatz von Plastik mit den Vakuumbeuteln.

QUALITÄTSMERKMAL REGIONALITÄT
Im Zuge allgemeiner Bemühungen den nicht mehr zu leugnenden Klimawandel einzudämmen, stellt sich auch die Gastronomie darauf ein, mit lokalen Produkten und kurzen Lieferketten, dem trendigen "Farm to Table" , bei den Gästen zu punkten.
Für Heinrich Gasteiger gilt es zu unterscheiden, denn für die Qualität der Speisen und somit für den Erfolg im Gastlokal müssen auch Alternativen in Kauf genommen werden. So würde er die Kürze einer Lieferkette nicht in Entfernung messen, sondern in Zeit die verstreicht, bis die Lebensmittel zur Verarbeitung bereitstehen. Es gilt aber auf alle Fälle: je kürzer, desto besser.
Für die Echtheit der Regionalität hat sich die Politik auf die bewährte Klassifizierung bei den Weinen besonnen und mit dem IGP Prädikat auch schützenswerte Lebensmittel ausgezeichnet. Ein regionales "Made in Italy", wenn wir so wollen. Durch die damit verbundene Qualitätssicherung werden Herstellungsmethode, erlaubte Zutaten und Aussehen des Produkts genau festgelegt.
Bedenken hat Gasteiger beim Südtiroler Fleisch, da kann er gut verstehen, wenn die Köche auf Regionalität verzichten. Die heimischen Erzeuger könne nicht genügend lokales Fleisch liefern und außerdem kann es mit Produkten anderer Länder qualitativ nicht konkurrieren. Deshalb wird noch viel Fleisch aus Argentinien, Neuseeland oder Schottland bezogen. Im Gegensatz zu Südtirol ist die Aufzucht des Viehs dort auf den Konsum ausgerichtet, erzielt damit eine hohe Qualität des Endprodukts. Beim Schmoren und Braten zergeht das Fleisch sprichwörtlich auf der Zunge. Da hat Südtirol noch Aufholbedarf.
WAS BRINGT DIE ZUKUNFT?
Es ist nicht abzusehen. Sieht fast so aus, als befände sich die Südtiroler Gastronomie im Umbruch. Das Personalproblem verschärft die allgemeine Unsicherheit, einige Gastwirte sind gezwungen mit Fertigprodukten zu arbeiten, um das Loch des Personalmangels zu stopfen. Das ist kostenintensiv und nicht für höhere Ansprüche geeignet. Ein weiteres Inkognito verkörpert die Künstliche Intelligenz die massiv in die Tourismus- und Hotelbranche drängt. Technische Neuerungen, 3D Drucker für Lebensmittel, Küchenroboter und digitale Plattformen im Service mit KI für die Empfehlungen von Speisen und Getränken, im Labor gezüchtetes Fleisch ...
... George Orwell läßt grüßen.
Quellen:
https://www.so-kocht-suedtirol.it
https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Gasteiger
https://www.athesia-tappeiner.com/de/autoren/heinrich-gasteiger
Genussmagazin 01/ tt-consulting.com
Fotos: Heinrich Gasteiger